Das Leben ist ein Arschloch - und ich stecke mittendrin

Leseprobe

Schulfreuden

Die unbeschwerte freie Zeit auf dem Dorf sollte bald vorbei sein. Mit sechseinhalb Jahren wurde ich eingeschult. Ich erinnere mich noch genau an die grüne Schultüte, das alberne rosa Dirndlkleid mit weißer Schürze und den blöden Kurzhaarschnitt, der mir vorher verpasst worden war. Davor hatte ich immer etwas längere dunkelbraune Locken gehabt. Nun wirkte das Haar seltsam glatt und fast schwarz. Mein Protest nützte nichts: So und nicht anders wurde ich zur Schule geschickt.

„Da mache ich ja gleich den richtigen Eindruck“, meuterte ich vergeblich.

In der kleinen Dorfschule gab es jede Menge Kinder, die ich noch gar nicht kannte, und eine sehr nette junge Lehrerin, die unsere Klasse fortan unterrichten sollte. Mit Schwung warf ich meinen Lederranzen, ein Geschenk meiner Großeltern aus der damaligen DDR, auf einen der vorderen Tische, an dem bereits ein zierlicher blasser Junge mit schönen „Apfelsinen-farbigen“ Haaren saß. Der war mir gleich sympathisch. Die Freude war allerdings schnell vorbei. Ein kräftiger schwarzhaariger Knabe betrat den Raum, steuerte auf meinen Tischnachbarn zu, riss denselben vom Stuhl hoch und setzte sich kurzerhand neben mich. „So“, sagte er zufrieden.

Seitdem hatte ich das Gefühl, ich müsse den schwächeren Knaben vor anderen beschützen - bis zu jenem Tag, als ich der Lehrerin, die stets am Fenster stand, während wir den Heimweg antraten, wie immer freudig zuwinkte. Sie grüßte zurück. Da bemerkte ich, wie sich der kleine Rotschopf über mich lustig machte und mich nachäffte. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber meine Faust landete direkt auf seiner sommersprossigen Nase. Und die blutete. Geheul! Au weia! Die Lehrerin winkte uns zu: Wir sollten anscheinend wieder hereinkommen. Ich tat so, als hätte ich nichts gesehen und ging unbeirrt nach Hause. Am nächsten Tag musste ich deshalb nachsitzen, und prompt bekamen meine Eltern die ganze Geschichte brühwarm zugetragen, da ich ja nicht mit den anderen Kindern heimkehrte. Im Schulzimmer war es stinklangweilig, weil ich alleine eine mir endlos erscheinende Zeit dort zubrachte. Also zog ich mir die Wollmütze über das Gesicht und sprang, als die Tür aufging, mit einem lauten BUH unter dem Tisch hervor, um die Lehrerin mal so richtig zu erschrecken. Die hatte mir das schließlich eingebrockt! Als ich die Mütze wieder hochschob, sah ich, dass die Direktorin vor mir stand. Sie lächelte milde. „Du kannst jetzt nach Hause gehen.“

Zu Hause gab es dann gleich nochmal Zoff. Danach mochte ich den Rothaarigen nicht mehr. Gut, dass er nicht neben mir saß!

Mit dem Lernen hatte ich keine Probleme, mit dem Nachhause kommen schon. So suchte mich meine Mutter mal über eine Stunde im Dorf, weil ich mich nach Schulschluss bei einem Schulfreund einquartiert hatte und mit ihm über Indianerkostüme debattierte. Ein andermal fand sie mich Kekse kauend bei der netten alten Dame, die unten im Haus wohnte.

„Du sollst doch nach der Schule gleich nach Hause kommen! Ich warte hier mit dem Mittagessen!“, schimpfte meine Mutter mich aus.

 

©byChristine Erdic

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